thumb_potsdam-sanssouciAlle wollen plötzlich nach  Potsdam: Wissenschaftler, Medienmenschen, Filmleute, ganz normale Familien, die bisher glücklich waren am Prenzlauer Berg oder in Zehlendorf, Studenten aus dem In- und Ausland, junge Menschen aus den Zukunftsbranchen und andere Aufschwungteilhaber.

Alle wollen plötzlich nach  Potsdam: Wissenschaftler, Medienmenschen, Filmleute, ganz normale Familien, die bisher glücklich waren am Prenzlauer Berg oder in Zehlendorf, Studenten aus dem In- und Ausland, junge Menschen aus den Zukunftsbranchen und andere Aufschwungteilhaber.

Joop und Jauch und Schlöndorff, Nadja Auermann und UFA-Chef Wolf Bauer sind ja lange schon dort. Dann sind auch Menschen hingezogen wie Friede Springer oder der Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner mit seiner Familie, Gerhard Schröders ehemaliger Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, Berlins Innensenator Ehrhart Körting und viele Schauspieler wie Nadja Uhl und Christian Ulmen. Gerade wird der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher Neu-Potsdamer und bald auch Bild-Chef Kai Dieckmann.

Während andere Städte in Ostdeutschland schrumpfen, ist die Bevölkerungszahl in Potsdam seit sechs Jahren kontinuierlich angestiegen. Auf der Hitliste der wettbewerbsfähigsten Städte im Prognos-Zukunftsatlas liegt die ehemalige Residenz der preußischen Könige und spätere Hauptstadt der DDR-Beamten inzwischen vor Hamburg, Wiesbaden und Frankfurt am Main. Die Stadt ist jung: Fast jeder fünfte Potsdamer ist zwischen 18 und 30 Jahre alt. Sie ist reich, vor allem an Kindern: Drei Prozent der Potsdamer sind unter drei Jahre alt, das ist bundesdeutsche Spitze. Und sie ist schlau: 17,5 Prozent der Potsdamer haben einen Hochschulabschluss. Heute sind drei öffentliche Hochschulen und mehr als 30 Forschungsinstitute in der Stadt ansässig. Rund 15 Prozent der Einwohner sind Studierende, die Dichte an Wissenschaftlern pro Einwohner ist die höchste in Deutschland. Die Arbeitslosenquote ist mit zehn Prozent so niedrig wie kaum anderswo in den neuen Bundesländern.


Die Sache mit dem Sog

Seit der Wende sind insgesamt weit mehr als 60.000 Menschen in die brandenburgische Landeshauptstadt gezogen. Am 13. Februar 2008 begrüßte der Potsdamer Oberbürgermeister die 150.000. Einwohnerin. Das Wachstum ist mehr als ein vorübergehender Trend oder eine Mode. Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert 161.000 Einwohner im Jahr 2020. Von Berlin aus jedenfalls fühlt es sich inzwischen an wie ein geheimnisvoller und auch etwas beängstigender Sog, ein Magnetismus und, ja, sogar auch das, wie eine Art Verzauberung. Jeder in Berlin kennt jetzt jemanden, der umgezogen ist nach  Potsdam, und fragt sich: Warum tun die das? Was hat Potsdam, was Dahlem nicht hat und Charlottenburg oder Mitte auch nicht? Wie konnte in nur einem Jahrzehnt eine Stadt, der die Meinungsforscher in Zeiten, als der Oberbürgermeister Gramlich hieß, den Ehrentitel Hauptstadt der Depressiven verpasst hatte, zur Boomtown Ostdeutschlands werden? Was suchen die Leute in Potsdam? Finden sie es? Und wie geht es denen, die immer schon da waren?

Am schnellsten kommt man hin über die Autobahn und die Nuthestraße - durch den Dienstboteneingang also gewissermaßen - vorbei an den Plattenbauvierteln Stern und Schlaaz. Die ersten Antworten auf alle Fragen aber findet, wer die Gänsehautroute zur großen Einfahrt wählt, wer also, wie es alle Friedrichs und Wilhelms und Friedrich-Wilhelms getan haben, aus Berlin über das heutige Wannsee die Bundesstraße 1 rausfährt über die Glienicker Brücke hinein in die opernkulissenhaft schöne preußische Sehnsuchtslandschaft der Schlösser, Gärten, Parks und Seen: rechts Schloss Glienicke, dann der Zauberblick vom Jungfernsee bis zum Schloss Babelsberg und Tiefen See.

Vor allem anderen profitiert Potsdam von dieser Schönheit, von der Baugeschichte der preußischen Vergangenheit, der Attraktion des Weltkulturerbes. Als die Chefs des amerikanischen Software-Riesen Oracle nicht wussten, ob sie sich für das große Osteuropageschäft in München ansiedeln sollten oder in  Potsdam, hat ein kluger Mensch vorgeschlagen, außer den üblichen Lockangeboten zu einem Hubschrauberflug einzuladen über die Seen, die Schlösser, die Parks und die Gärten bis hinüber nach Berlin. Und noch vor der Landung an der  Potsdamer Schiffbauergasse, an der zwischen dem VW-Designzentrum, dem neuen Hans Otto Theater und den Hallen der freien Szene dieser alte Koksseparator steht, der inzwischen zum Oracle-Bürogebäude umfunktioniert ist, soll einer der Oracle-Menschen die Nummer der Zentrale gewählt und in sein Handy gerufen haben: Vergesst München!

Wer eine Weile nicht da war, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Wo nach der Wende nichts als graue Ruinen und scheinbar unrettbar traurige Barockbrösel von vergänglicher und vergangener Schönheit erzählten, sind jetzt ganze Viertel restauriert, mit offenbar strengen Denkmalschutzauflagen, viel Geld und großer Sehnsucht nach der Idylle: die Welt als Villa und Vorstellung in der Berliner, der Brandenburger und der Jäger Vorstadt. Die Barockhäuser der Altstadt mit ihren schönen jungen Menschen, den vielen Kinderwagen und florierenden Restaurants und Geschäften. Das Holländische Viertel und die Russische Kolonie sind jetzt im Sommer von Touristen überlaufen wie die Schlösser.